“Tagesspiegel-Leute für Pankow”
“Am Sandhaus: Initiative kritisiert Baupläne als “Desaster”. Ärger in Buch: Die „Bürgerinitiative Buch/Am Sandhaus“ hat scharfe Kritik an der Entscheidung im Gutachterverfahren für das Planungsgebiet Buch/Am Sandhaus geäußert. Der Zuschlag für den Entwurf der Büros Wessendorf/Grieger sei „eine Entscheidung gegen das eindeutige Stimmungsbild“ in der Anwohnerschaft und „gegen nachhaltige Entwicklung und Naturschutz“.
Der Siegerentwurf sieht vor, im Plangebiet zwischen dem ehemaligen DDR-Stasi-Krankenhaus und der Moorlinse 2800 Wohnungen zu errichten. Diese sollen rund um eine „urbane Dorfstraße“ mit zwei Angern angeordnet werden. Der Baustart ist nicht vor 2023 zu erwarten.
Der Entwurf habe von allen drei Varianten „den größten ökologischen Fußabdruck“, erklärte Gisela Neunhöffer, eine der Sprecherinnen der Initiative. Neben der Ablehnung bei der Online-Bürgerbeteiligung habe es daran eindeutige Kritik des Umweltamtes Pankow, der Landesforstbehörde und von Umwelt- und Naturschutzverbänden gegeben, die jedoch „ignoriert“ worden sei, so Neunhöffer.
Dass alle Einwände so klar ignoriert wurden, sei ein Schlag ins Gesicht der Bucherinnen und Bucher sowie der vielen im Gebiet Naherholung Suchenden“. Es sei noch nicht einmal die Existenz der Kinder- und Jugendprojekte im Gebiet dauerhaft gesichert worden. Neunhöfer: „Für das Vogelparadies Große und Kleine Moorlinse bedeutet die Entscheidung eine massive Gefährdung.“
Auch aus Sicht der Verkehrswende sei diese Entscheidung „ein Desaster“. Der ÖPNV, insbesondere die S-Bahnlinie 2, platze im Berufsverkehr „jetzt schon aus den Nähten“. Entlang der S2 seien auf Berliner Gebiet rund 15.000 Wohnungen geplant (in Buch 4150; in Karow 3150; im Blankenburger Süden 5500; am Pankower Tor 2000), „ohne dass der Takt zeitnah erhöht wird oder andere Kapazitätserweiterungen in Sicht sind“, so Neunhöffer weiter. „Der komplette Kollaps ist programmiert.“
Neue Wohnungen geplant: Zoff um Waldhaus Buch. Und nochmal Ärger in Buch. Das frühere Krankenhausgelände soll nach jahrzehntelangem Dornröschenschlaf wiederbelebt werden – und darum gibt es in der Lokalpolitik nun mächtig Trouble. Das Bezirksamt stellte das Projekt vergangene Woche den Bezirksverordneten im Stadtentwicklungsausschuss vor. Die staunten nicht schlecht, wie weit fortgeschritten die Pläne bereits sind. Das Bezirksamt hat bereits einen Bauvorbescheid für ein neues Wohnquartier am Waldhaus gestellt – ohne die Verordneten zu informieren. Dabei hatte die BVV doch in der Affäre um das Colosseum ein „Frühwarnsystem“ für wichtige Projekte beschlossen.
Die CDU kritisiert den zuständigen Bezirksstadtrat Vollrad Kuhn (Grüne) deswegen scharf. „Das ist mal wieder ein Kuhn‘scher Vorgang“, sagt CDU-Fraktionschef Johannes Kraft. „Das Waldhaus hat erhebliche Bedeutung, das hätte autoaktiv vom Bezirksamt vorgestellt werden müssen.“ Stattdessen habe Kuhn „wieder alles allein durchgezogen“.
Das sogenannte Waldhaus wurde 1905 als Tuberkulose-Heilstätte in Buch eröffnet. Seit 1992 steht es leer. Geplant ist nach Angaben des Bezirksamts nun ein Quartier mit etwa 200 Wohnungen. Das Waldhaus soll als Wohnhaus saniert werden, direkt nordöstlich sind neun Neubauten mit 3 oder 5 Geschossen plus einem „Staffelgeschoss“ vorgesehen. Entstehen sollen 66 Wohnungen zwischen 30 und 120 Quadratmetern im Waldhaus selbst, dazu kommen 140 Neubauwohnungen zwischen 40 und 100 Quadratmetern.
Umsetzen soll das Vorhaben die private Projektgesellschaft „Waldhaus Buch“ in Kooperation mit der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Howoge, so Kuhn. Das Gelände gehört noch der Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM). „Das Projekt soll unmittelbar nach Inkrafttreten des Kaufvertrages umgesetzt werden“, erklärt Stadtrat Kuhn. Der Kaufvertrag liege derzeit dem Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses zur Bestätigung vor.
Auch die SPD kritisiert das Bezirksamt scharf. „Dass zu diesem wichtigen Standort über Jahre Verhandlungen und Planungen ohne jedwede Information der BVV geführt werden, wäre unter Bezirksstadtrat Kirchner undenkbar gewesen und entspricht dem Stil des Amtes unter dem bündnisgrünen Bezirksstadtrat Kuhn“, erklärt Fraktionschef Roland Schröder.
Kuhn räumt auf Nachfrage einen „Fehler“ in seinem Amt ein. Der Bauvorbescheid sei zwar schon im August 2020 erteilt worden „und damit noch vor dem genannten BVV-Beschluss“, sagt er. Trotzdem hätte die BVV durch die monatlich übergebenen Bauliste „informiert werden sollen“.
Wegen des dramatischen Personalmangels im Bezirksamt sei das Waldhaus jedoch schlicht übersehen worden. Kuhn: „Die verantwortlichen Führungskräfte wurden deswegen von mir gerügt und aufgefordert, solche Versäumnisse abzustellen und sich an die Dienstanweisungen zu halten.“ Doch es sei kein Vorsatz gewesen, kein Bauvorhaben werde aus der Prioritätenliste „bewusst ausgenommen“. Laut Kuhn können auch künftig „vergessene Altfälle punktuell noch auftauchen“.
Kuhns Erklärung, die Planung habe vor dem „Frühwarnsystem“-Beschluss begonnen, sei eine „Ausrede“, findet SPD-Politiker Schröder. „Das zeugt von einer Geisteshaltung, bei der gegenseitige Information und die gemeinsame Arbeit an wichtigen Themen sowie die Lösung von Problemen offenkundig nicht gewünscht sind.“
Inhaltliche Kritik übt die CDU. Es gehe nicht darum, Wohnungen zu verhindern, sagt Fraktionschef Kraft. Doch der Bauvorbescheid sei auf der Basis des „Lückenschlussparagrafen“ 34 im Baugesetzbuch erteilt worden. Dabei habe das Bezirksamt früher behauptet, es handle sich um einen planerischen „Außenbereich“, für den ein Bebauungsplan notwendig sei. „Plötzlich sieht man hierfür nicht mehr die Notwendigkeit “, so Kraft. Außerdem habe das Bezirksamt „keinerlei Verkehrskonzept“ vorgelegt – zudem sei auch kritisch zu sehen, wie sich die Neubauten in die Umgebung einfügten: „Da befinden sich bisher Einfamilienhäuser.“
Die CDU hat nun Akteneinsicht beantragt. Eigentlich müsse man nach der Missbilligung Kuhns durch die BVV in der Colosseums-Affäre nun einen Abwahlantrag stellen, so Kraft. „Denn deutlicher kann das Bezirksamt nicht machen, dass man sich nicht für Bürger und BVV interessiert.“ Auf eine Abwahl wolle man angesichts der nahen Wahl aus Zeitgründen jedoch verzichten.
Selbst die Grünen sind mit dem Vorgehen ihres Stadtrats unzufrieden. Zwar sei es eine „gute Nachricht“, dass das Waldhaus nach vielen Jahrzehnte Leerstand nun wieder genutzt werden soll, sagt die Fraktionschefin Cordelia Koch. Es sei auch zu begrüßen, „dass Sören Benn und Vollrad Kuhn das Projekt vorangetrieben haben“. Doch: „Die Informationspolitik des Bezirksamts ist leider mal wieder mangelhaft.“
Wie SPD und CDU sind die Grünen der Meinung, „dass hier zwingend ein Bebauungsplan hätte aufgestellt werden müssen“. Auch die ÖPNV-Anbindung und auch andere Fragen zur Infrastruktur müssten laut Koch „dringend geklärt werden“.
Christian Hönicke, Tagesspiegel