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Meilenstein für schonende Tierversuche

Neues Präklinisches Forschungszentrum am MDC

Hochsensible Ultraschall-Geräte, modernste Magnetresonanz-Tomographen, keimfreie Klimakammern: Das Preclinical Research Center des MDC schafft die besten Bedingungen dafür, wissenschaftlich notwendige Tierversuche in der Gesundheitsforschung so schonend wie möglich zu machen und zu reduzieren.

Die roten Glasscheiben der mannhohen Edelstahlschränke verraten nicht gleich, was sich dahinter verbirgt. Erst auf den zweiten Blick sind Mauskäfige erkennbar. Hier reckt sich ein Tier zum Futter, dort dreht sich ein Laufrad, eine andere Maus huscht nach hinten in eine rote Röhre. Dabei werden die Tiere automatisch bis ins kleinste Detail überwacht. Denn die Röhre ist gleichzeitig eine Waage, jede Umdrehung des Laufrades wird aufgezeichnet, der Futterspender dokumentiert, wie viel die Maus wann gefressen hat. Lichtschranken aus Infrarotlicht machen jede Bewegung später nachvollziehbar.

Für die Maus ändert sich in den Klimakammern des Phenomasters – so heißt das neue Gerät am MDC – im Vergleich ihrer gewohnten Umgebung im Heimatkäfig fast nichts. Die Luft ist 22 Grad Celsius warm, die Luftfeuchtigkeit liegt bei etwa 55 Prozent, das Licht geht automatisch an und aus und imitiert damit den Tag-Nacht-Rhythmus. Aber Sensoren sammeln unentwegt Daten über das Tier. Aus der Analyse der Atemluft können Forscher*innen Rückschlüsse auf den Kalorienumsatz der Maus und somit auf ihren Metabolismus ziehen. Atmet sie nach wie vor kleinste Mengen Azeton aus? Das wäre ein Hinweis darauf, ob ein neuer Wirkstoff gegen Diabetes wirklich hilft.

„Am MDC wollen wir neue Therapien für kranke Menschen finden, die Ärztinnen und Ärzte bisher nicht gut behandeln können“, sagt Professor Thomas Sommer, Wissenschaftlicher Vorstand (komm.) des Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC). Dabei helfen Künstliche Intelligenz, neueste Sequenzierverfahren und Organoide, Proben von Patient*innen und Zellkultursysteme. „Aber so lässt sich kein vollständiger Organismus simulieren. Auf absehbare Zeit können wir nicht auf Tierversuche verzichten. Umso wichtiger ist es, ständig zu hinterfragen, wie wir die Versuche noch schonender und aussagekräftiger konzipieren können.“

Optimale Bedingungen

Mit dem Präklinischen Forschungszentrum – oder Preclinical Research Center (PRC) – nimmt das MDC 2020 ein Laborgebäude in Betrieb, das die besten Bedingungen dafür schafft. Ganz im Sinne des 3R-Prinzips. 3R steht für Reduce, Refine und Replace – deutsch: verringern, verbessern, vermeiden. Diesem ethischen Grundsatz sind alle Teams am MDC verpflichtet, und sie arbeiten stets daran, die 3R weiterzuentwickeln. Die Regel dahinter lässt sich mit einer einfachen Formel auf den Punkt bringen: Nur wenn es keine alternativen Methoden gibt, um zu dem erstrebten wissenschaftlichen Fortschritt zu kommen, darf ein Tierversuch überhaupt stattfinden. Und auch dann dürfen Wissenschaftler*innen nur ein Minimum an Tieren einsetzen, und sie müssen die Versuche müssen so schonend wie möglich gestalten.

„Ein optimaler Tierversuch ist für mich, wenn das Tier von der Untersuchung überhaupt nichts bemerkt“, sagt Dr. Arnd Heuser, der das neue Haus und die Technologieplattform „Animal Phenotyping“ leitet. „Ein hohes Tierwohl und möglichst stressfreie Untersuchungsbedingungen sind entscheidende Faktoren für hochqualtitative wissenschaftliche Erkenntnisse.“ Die Zahl der Versuchstiere am MDC wird sich trotz des Neubaus nicht erhöhen.

Ein Kubus aus Holz und Glas

Nach etwa vier Jahren Bauzeit erhebt sich ein Kubus aus Holz, Glas und Beton am südöstlichen Campusrand, gut 24 Millionen Euro netto hat er gekostet. In seinem Inneren befindet sich ein von Keimen abgeschirmter Kern. Hier, in mehreren Räumen an einem zentralen Versorgungsflur, werden die Mäuse und Ratten gehalten, die die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am MDC für ihre Versuche benötigen. Ringsherum gruppieren sich die Labore.

In-Vivo-Pathophysiologie-Laborgebaeude auf dem Max-Delbrueck-Campus
Foto: Pablo Castagnola/dreiplus.berlin

Ein Team von Tierpflegerinnen und Tierpflegern betreut die Tiere 365 Tage im Jahr und wacht über die Reinheit des Bereichs. Alles, was hineinkommt, wird aufs Gründlichste desinfiziert – Käfige genauso wie Kugelschreiber und Papier. „Tierpflegerinnen und Tierpfleger tragen autoklavierte Schutzkleidung und stellen sich vor Betreten in eine Luftdusche, die Keime, Staub und Pollen abbläst“, sagt Dr. Claudia Gösele, die am PRC die Experimentelle Tierhaltung leitet und für das Wohlergehen der Tiere zuständig ist.

In der Dampfzentrale des neuen Hauses atmet, dröhnt und zischt es unterdessen wie im Bauch eines großen Schiffes. „Der Dampf wird zum Sterilisieren von Futter und Streu benötigt und um die Luft so zu befeuchten, dass sie für die Tiere optimal ist“, sagt Achim Maier, der das Neubauprojekt für das MDC seit Beginn der Planungen 2010 geleitet hat. Im Nebenraum steht eine rot-blaue Kältemaschine. „Die sorgt dafür, dass die Temperatur im Gebäude gleichbleibt.“ 22 Grad Celsius sollen es sein, im Sommer wie im Winter. Die großen raumlufttechnischen Anlagen in der Technikzentrale saugen die Außenluft an und reinigen sie über drei Filterstufen. Höchstens zehn Partikel Staub dürfen pro Kubikmeter Luft vorkommen. Reinraumqualität für die Tierhaltung.

Nach und nach kamen Technik und Tiere an

Gösele hebt einen transparenten Käfig aus einem Regal und prüft gemeinsam mit einer Tierpflegerin den Zustand der Mäuse, die zu viert im Einstreu umherwuseln. Eine Trinkflasche hängt von oben herab, Futter füllt die Raufe, ein rotes Häuschen in einer Käfigecke bietet Raum zum Verstecken. „Erfahrene Tierpfleger erkennen sofort, wie es den Mäusen geht“, sagt Gösele. „Diese vier hier haben sich ein schönes geschlossenes Nest aus Hanf gebaut, das ist ein Zeichen für Wohlbefinden.“

Claudia Gösele
Tierschutzbeauftragte und Leiterin Experimentelle Tierhaltung des Praeklinischen Forschungszentrums
Foto: Pablo Castagnola/dreiplus.berlin

“Jetzt müssen die Forschenden zu den Mäusen kommen und nicht umgekehrt.”

Als Tierschutzbeauftragte schreibt Gösele, wie ihre fünf Kolleginnen am MDC, Stellungnahmen zu jedem geplanten Tierversuch, bevor dieser beim Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales eingereicht und in Zusammenarbeit mit einer unabhängigen Tierversuchskommission intensiv geprüft wird. Erst wenn die Genehmigung erteilt ist, darf ein Tierversuch beginnen. Die Tierschutzbeauftragte überwacht die korrekte Durchführung, macht regelmäßig unangemeldete Kontrollbesuche in den Laboren. „Für das MDC hat Tierschutz und Tierwohl oberste Priorität“, sagt sie.

Während Claudia Gösele und ihr Team nach und nach die Ankunft der Mäuse und Ratten im PRC organisiert haben, hat Arnd Heuser gemeinsam mit seiner Gruppe die Labore mit neuester Technik ausgestattet. Geräte, die zuvor auf mehrere Gebäude auf dem Forschungscampus verteilt waren, stehen allen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen zentral zur Verfügung. „Jetzt müssen die Forschenden zu den Mäusen kommen und nicht umgekehrt“, sagt Gösele. „Das reduziert den Stress für die Tiere erheblich, weil sie nicht mehr zwischen den Häusern transportiert werden und jetzt ständig in der gleichen ruhigen und reinen Umgebung bleiben können.“

Dazu kommen Verfahren und Technologien, die es vorher am MDC nicht gab, wie ein Zweiphotonenmikroskop und Aufbauten für neurowissenschaftliche Verhaltensexperimente. Viele Untersuchungsmethoden kennen Patient*innen aus der Klinik. Ultraschall gehört dazu oder die Klinische Chemie, wo Urinproben, Serum oder Blutplasma analysiert werden. Ein Magnetresonanztomograph (MRT), der eigens für das neue Gebäude angeschafft wurde, erlaubt es, Tiere ohne jegliche Strahlenbelastung zu durchleuchten. Die zeitliche Auflösung ist dabei so hoch, dass das Gerät das schlagende Herz abbilden kann. Die Maus wird dafür nur betäubt, das Tier wuselt anschließend nach wenigen Minuten auf einer gewärmten Plattform wieder umher.

Wie ein Wurzelballen

Arnd Heuser sitzt an seinem neuen Schreibtisch. Hinter großen Scheiben liegt ein gelbrot gefärbter Herbstwald, auf seinem Bildschirm ist das dreidimensionale Modell eines Rattenherzens zu sehen, schwarzweiß, mit Gefäßen, die wie ein verästelter Wurzelballen daliegen. „Das ist eine Aufnahme aus unserem neuen Mikro-Computertomographen. die Auflösung ist so hoch, dass man sehr kleine Gefäße und ihre Verzweigungen am Herzen vermessen kann“, sagt Heuser.

Die Forschungsgruppe, für die das Team um Arnd Heuser die Bilder angefertigt hat, sucht nach den Ursachen einer gefährlichen Bluthochdruckerkrankung, die während der Schwangerschaft auftreten kann, der Präeklampsie. Eine von zehn schwangeren Frauen leidet an dieser Krankheit, übliche Medikamente gegen Bluthochdruck helfen ihnen nicht. Die Folgen: viel zu frühe Geburten und ein bis zu vierfach erhöhtes Risiko für die Mütter, nach der Schwangerschaft eine Herzkreislauferkrankung zu entwickeln. Die Forscher*innen untersuchen an genetisch veränderten Ratten, wie die Schwangerschaftskomplikation die Herzgefäße verändert.

In das Organ wird Kontrastmittel injiziert und acht Stunden lang im Mikro-CT mithilfe von Röntgenstrahlen von allen Seiten abgelichtet. Eine Wissenschaftlerin setzt die hochaufgelösten Bilder des Scans schließlich zu einer 3D-Rekonstruktion zusammen, der Blick ins Innere des Organs ist komplett. Das ist zwar aufwändig. Doch das langfristige Ziel ist, eine geeignete Therapie für betroffene Frauen zu entwickeln und Leben zu retten.

Ein Meilenstein für die 3R-Strategie des MDC

Auf dem Monitor von Arnd Heuser erscheint noch ein schwarzweißes Video, dieses Mal wirkt es auf den Laien deutlich verschwommener: Ein Rattenherz schlägt gleichmäßig. Es ist eine extrem verlangsamte Aufnahme aus einem Hochfrequenz-Ultraschallgerät, an der Heuser abliest, wie gut der Herzmuskel des Tieres arbeitet. Diese Untersuchung ist nicht-invasiv, sie erfolgt also rein äußerlich. Die Brust der betäubten Ratte wird dafür mit Gel bestrichen und mit einem Ultraschallkopf abgetastet, wie Patient*innen es von Arztbesuchen kennen.

Arnd Heuser, Leiter des Praeklinischen Forschungszentrums
Foto: Pablo Castagnola/dreiplus.berlin

Heuser ist sich sicher, dass Experimente wie diese nötig sind, um die Mechanismen von Krankheiten zu verstehen. „Es geht vor allem darum, in Zukunft Patientenleid zu verringern“, sagt er. Wie andere Forschungseinrichtungen arbeite das MDC intensiv daran, mehr Alternativmethoden zu nutzen und neue zu entwickeln. Doch viele haben derzeit Limitationen. „In der Zwischenzeit ist das PRC ein wichtiger Meilenstein für die 3R-Strategie des MDC.“

Text: Mirco Lomoth / Mitarbeit: Jana Schlütter

MDC, Campus Buch