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Was das Berliner Abwasser über Corona verrät

Für viele Menschen beginnt der Tag mit einem Blick auf den aktuellen Inzidenzwert. Forschende des MDC können diesen nun einige Tage im Voraus bestimmen. Alles, was sie dazu brauchen, sind zwei Fläschchen voll Abwasser aus der Berliner Kanalisation.

Berliner Wissenschaftler*innen fischen im Trüben. Seit Februar 2021 untersuchen Forschende des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) das Berliner Abwasser. Zusammen mit den Berliner Wasserbetrieben (BWB) wollen sie herausfinden, was sich in den Abwasserrohren der Kanalisation tummelt. Medikamente und Drogen hinterlassen dort ebenso ihre Spuren wie Krankheitserreger. „Wir konzentrieren uns auf das SARS-CoV-2-Virus“, sagt Professor Markus Landthaler, der die AG RNA-Biologie am Berliner Institut für Medizinische Systembiologie (BIMSB) des MDC leitet. Neben seiner Arbeitsgruppe sind noch weitere BIMSB-Labore an dem Projekt beteiligt. Die Wasserbetriebe kooperieren darüber hinaus mit dem Umweltbundesamt (UBA) und dem Umweltforschungszentrum (UFZ) in Leipzig.

© Felix Petermann, MDC

So trüb das Abwasser ist, so reich ist es an Informationen. „Wir können nicht nur sehr genau ablesen, in welcher Konzentration das Virus im Abwasser vorkommt“, betont Landthaler. Die Forschenden können auch feststellen, um welche Varianten es sich dabei handelt. „Mittlerweile haben wir es fast ausschließlich mit der britischen Mutante zu tun.“

Frühwarnsystem für die Ausbreitung des Virus

Die Wissenschaftler*innen wollen Analysemethoden etablieren, die als „Vorhersagewerkzeuge“ die Ausbreitung von SARS-CoV-2 prognostizieren können. „Die Viruskonzentration im Abwasser entspricht ziemlich genau der Inzidenzkurve“, erläutert Dr. Emanuel Wyler aus Landthalers Team. „Untersuchungen in verschiedenen Orten weltweit haben aber gezeigt, dass diese Daten einige Tage im Voraus zeigen können, ob die Inzidenz zu- oder abnehmen wird.“ Ein regelmäßiges Abwasser-monitoring könne daher als Frühwarnsystem dienen, das einen Wiederanstieg der Infektionszahlen früher anzeigen kann als Tests bei infizierten Menschen. „Je eher die Menschen erfahren, dass das Virus sich wieder stärker ausbreitet, um so früher können sie Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, um sich und andere vor einer Ansteckung zu schützen“, sagt Emanuel Wyler.

Von der Aussagekraft des Abwassers sind nicht nur die MDC-Forschenden überzeugt. Die Europäische Kommission hat die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) aufgefordert, bis zum 1. Oktober 2021 ein nationales Abwasserüberwachungssystem einzurichten. Dafür soll zweimal im Monat das Abwasser von Großstädten ab 150.000 Einwohnern dahingehend analysiert werden, ob es SARS-CoV-2 enthält. Die Ergebnisse sollen elektronisch an die zuständigen Gesundheitsbehörden und von dort an eine europäische Austauschplattform übermittelt werden, die die EU-Kommission einrichten will. Europaweit arbeiten wissenschaftliche Teams an entsprechenden Analysemethoden.

Berliner Abwasser macht froh: Inzidenz sinkt derzeit

Der Mensch scheidet das Virus über den Speichel und Stuhlgang aus. Aus Wasch- und Toilettenbecken fließt das Abwasser durch die Berliner Kanalisation in insgesamt sechs Klärwerke vor den Toren der Stadt. Dort entnehmen BWB-Mitarbeiter*innen regelmäßig Proben, um die Wasserqualität zu überprüfen. Einmal pro Woche schicken sie Mischproben an das BIMSB. Die Wissenschaftler*innen filtrieren die bräunliche Brühe, reichern die Viruspartikel an, die sie dabei finden, isolieren und sequenzieren das Erbgut der Viren. Im Anschluss analysieren sie die Sequenzierdaten bioinformatisch. Obwohl sie damit SARS-CoV-2 zuverlässig aufspüren, ist es unwahrscheinlich, dass das Abwasser zu einem Übertragungsweg für das Virus werden könnte. „Die Viren, die wir finden, eignen sich gut für diagnostische Zwecke“, betont Emanuel Wyler. „Sie sind jedoch nicht infektiös.“ Derzeit lasse ihre Konzentration vermuten, dass die Inzidenz im Zuge der wärmeren Temperaturen bald sinkt.

Quelle: Hier finden Sie die gesamte PM des MDC vom 14.05. mit Videos